Digitales Geld ist aus mehreren Gründen etwas, das sich in den kommenden Jahren etablieren wird. Zum einen ist die Dematerialisierung des Geldes seit Jahrhunderten ein säkularer Trend in der Kulturgeschichte. Andererseits gibt es viele – durchaus bevölkerungsreiche – Staaten, in denen bisher kein funktionierendes Netzwerk für Zahlungsverkehr vorhanden ist, das der breiten Masse der Bevölkerung zur Verfügung steht. Dies gilt für zahlreiche Länder in Afrika und Lateinamerika, aber auch für Teile Asiens. In diesen Ländern ist das Interesse an digitalem Geld schon lange groß.
Aber im Jahr 2020, zu Beginn der Corona-Pandemie, als viele Staaten große Hilfsprogramme aufgelegt hatten, um die einbrechende Wirtschaft zu stabilisieren, zeigte sich, dass beispielsweise auch in den USA viel zu viele Menschen über das konventionelle Zahlungsverkehrsnetz der Banken gar nicht erreicht werden können – sprich keinen Zugang dazu haben. Dies legt nahe, dass die Dringlichkeit für grundlegende Innovationen im Zahlungsverkehr nicht nur in weniger entwickelten Ländern hoch ist.
Digitales Zentralbankgeld wird zum Thema
Bis dahin waren es vor allem technologieaffine Einzelpersonen (Bitcoin), Start-ups (Ethereum) oder etablierte Marktführer (Libra), von denen Impulse für die Digitalisierung des Geldes ausgingen. Sie konzipierten und emittierten eigene kryptografisch ausgestaltete Tokens, die allgemein als Kryptowährungen oder kurz Kryptos bezeichnet werden. Doch nun traten auch die Zentralbanken weltweit mit eigenen Ideen, Studien und Pilotprojekten auf den Plan, die die Möglichkeit digitaler Varianten ihrer Währungen umsetzen wollten.
Die digitale Variante einer etablierten Währung wird üblicherweise als digitales Zentralbankgeld oder auch Central Bank Digital Currency (CBDC) bezeichnet. Waren es 2020 zunächst 35 Zentralbanken, die sich mit diesem Thema auseinandersetzten, so waren Anfang des Jahres 2023 bereits 114 Währungsbehörden mit CBDC-Vorhaben in unterschiedlichen Stadien der Entwicklung unterwegs. Da sich darunter auch Notenbanken wie die EZB befinden, die alleine 20 Staaten vertritt, ist die Anzahl der Länder für die Projekte rund um digitales Zentralbankgeld am Laufen sind noch deutlich größer. Sie repräsentieren aktuell mehr als 95 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung.
In elf Staaten befinden sich mittlerweile Central Bank Digital Currencies parallel zu physischem Bargeld und konventionellem Buchgeld im Umlauf. Am weitesten vorangekommen ist dabei die chinesische Zentralbank (PBC), die das digitale Zentralbankgeld e-CNY des chinesischen Renminbis mit 260 Millionen Nutzern in einer Pilotphase betreibt. Wenn zutiefst konservative und vorsichtige Institutionen wie Zentralbanken Zeit und Geld in solche Projekte investieren, die zudem die Grundlagen ihrer bisherigen Währungen umkrempeln, ist dies ein klares Indiz dafür, dass digitales Geld die Zukunft sein wird.
Internationale Zahlungsverkehrssysteme sind teuer und fehleranfällig
Der Ausgangspunkt all dieser bisher betrachteten Aktivitäten rund um digitales Zentralbankgeld war und ist eine innovative Veränderung im Massenzahlungsverkehr, um den Zugang zu Geld zu vereinfachen und eine schnelle Ausführung von Zahlungen für alle Menschen zu gewährleisten. Dabei ist aber zu bedenken, dass der Zahlungsverkehr in den Industrieländern – insbesondere im Euroraum – bereits schnell und effizient ist. Doch in einer globalen Wirtschaftswelt mit grenzüberschreitendem Handel ergeben sich neben dem Nutzen von digitalem Geld im sogenannten Retail Banking auch im Bereich des Wholesale Bankings Argumente für die Nutzung digitaler Geldformen.
Im Jahr 2020 beliefen sich die währungsüberschreitenden Transaktionen auf 23,5 Billionen US-Dollar. Die internationalen Zahlungsverkehrssysteme haben jedoch im Gegensatz zu den nationalen Systemen nicht mit der Entwicklung des internationalen Handels Schritt gehalten. Sie sind heute teuer, langsam und mit ihrer hohen Komplexität auch fehleranfällig. CBDCs können den währungsüberschreitenden Handel und die damit verbundenen Zahlungen massiv vergünstigen und damit gerade auch den ärmeren Staaten einen vernünftigen Zugang zu diesen globalen Märkten ermöglichen. Während für europäische Unternehmen transatlantische Zahlungen durchschnittliche Gebühren von zwei Prozent mit sich bringen, können diese Gebühren nach Untersuchungen der Bank for International Settlement (BIS) für lateinamerikanische Unternehmen bis zu sieben Prozent betragen.
„De-Dollarisierung“ des internationalen Handels
In einem Pilotprojekt mit digitalem Zentralbankgeld aus dem Jahr 2022 von China, Thailand, Hongkong und den Vereinigten Arabischen Emiraten namens mBridge konnten die Transaktionskosten auf weniger als ein Prozent gesenkt werden. Vor allem aber lassen sich internationale Zahlungen, die heute üblicherweise drei bis fünf Tage für das Settlement benötigen, auf bis zu nur noch wenige Sekunden beschleunigen – wie dies bei nationalen Zahlungen schon lange möglich ist. Last but not least wurden die Zahlungen in lokalen Währungen durchgeführt und es ergab sich keine Notwendigkeit der Verwendung internationaler Leitwährungen.
Diese „De-Dollarisierung“ des internationalen Handels ist in vielen Regionen der Welt durchaus ein Thema. Brasiliens Präsident Lula da Silva wird in einer Rede in Shanghai im April 2023 mit den Worten zitiert: „Every night I ask myself why all countries have to base their trade on the dollar”. Technologische Entwicklungen rund um CBDC werden Möglichkeiten eröffnen, die die Vormachtstellung des Dollars in der Abwicklung internationaler Zahlungen zu beenden. Der Schlüssel dafür liegt bei den beteiligten Zentralbanken, die entsprechende Central Bank Digital Currencies ausgeben und die Möglichkeiten der sicheren, anonymen und einfachen Weitergabe dieses digitalen Geldes ermöglichen müssen.
Die USA und Europa müssen beim Thema CBDC handeln
Aus dieser letzten Perspektive haben die Sanktionen des Westens gegen Russland nach dem Überfall auf die Ukraine das Interesse an CBDCs noch deutlich aufgewertet. Die Wichtigkeit eines jederzeitigen Zugriffs auf ein funktionsfähiges internationales Zahlungsnetzwerk ist allen Teilnehmenden auf dem internationalen Parkett klar vor Augen geführt worden. Die Ablösung des SWIFT-gestützten Netzwerks weltweiter Korrespondenzbanken für das Settlement internationaler Zahlungen als Quasi-Monopol für internationale Zahlungen erscheint vielen Staaten notwendig. Digitales Zentralbankgeld bieten die Möglichkeiten dafür, auch wenn noch längst nicht alle Fragen geklärt sind.
Die EZB und die Fed halten sich aktuell bei diesen Themen auffällig zurück. Es wird jedoch nicht reichen, nur auf die noch bestehenden Probleme solcher Pilotprojekte zu deuten. Wenn die USA und Europa auch zukünftig eine führende Rolle im internationalen Handel und den damit verbunden Zahlungen spielen möchten, werden sie die technologische Führerschaft bei der Entwicklung neuer internationaler Standards anstreben müssen.
Central Bank Digital Currencies werden sicher kommen
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass CBDCs für zwei sehr unterschiedliche Zwecke eingesetzt werden können und damit auch einen doppelten Nutzen aufweisen. Neben der Verwendung als Zahlungsmittel und Wertaufbewahrungsmittel für Konsumenten und Gewerbetreibende, wo sie weitgehend ein Ersatz für die Verwendung von Bargeld sein werden, ist digitales Zentralbankgeld in der Lage, die Spielregeln im internationalen Zahlungsverkehr neu festzulegen: Transaktionen können erheblich beschleunigt und auch verbilligt werden. Schon deswegen ist es als sicher anzunehmen, dass diese Instrumente kommen werden.
Es werden aber auch die Rollen im internationalen Zahlungsverkehr neu verteilt. Die Vormachtstellung des Dollars als Weltwährung scheint zu Ende zu gehen. Aber auch die Rolle der großen internationalen Korrespondenzbanken, die heute international die Dollarzahlungen abwickeln und die im internationalen Zahlungsverkehr vorhandenen Abwicklungsrisiken managen, steht in Frage. Zukünftig könnte jeder, der Central Bank Digital Currencies besitzt, potenziell auch grenzüberschreitend damit bezahlen, denn der Schuldner und damit der Garant des Geldbetrags ist dann eine Zentralbank.
Neben vielen potenziellen Vorteilen birgt digitales Zentralbankgeld allerdings auch Risiken und Herausforderungen. Dazu gehört neben der Angst vor staatlicher Überwachung und Kontrolle und damit vor einer Verletzung der Privatsphäre vor allem eine mögliche Destabilisierung des Geschäftsbankensystems durch die Einführung einer neuen Art von Zentralbankgeld. Auf diese Aspekte geht mein nächster Beitrag auf dem Finance IT Blog ausführlicher ein. Dort kommt es dann zu einem Vergleich von privatem (Kryptos) und staatlichem (CBDCs) digitalen Geld.
Unsere Beitragsserie zur Zukunft des Bezahlens
- Das Ende des Geldes, wie wir es kennen?
- Kryptos – die Idee vom besseren Geld
- Digitales Zentralbankgeld: CBDCs als Gamechanger im globalen Zahlungsverkehr?
Bildquelle: Shutterstock