Unter IDV versteht die Aufsicht im Kontext der VAIT (Versicherungsaufsichtliche Anforderungen an die IT) „von den Fachbereichen selbst entwickelte Anwendungen“. Für Versicherer sind diese eine schnell verfügbare und kostengünstige Alternative zu aufwändigen IT-Systemen – gerade wenn die kurzfristige Lösung eines operativen Problems im Vordergrund steht oder kaufmännische Modelle technisch abgesichert für Berechnungen dienen. Aber auch unternehmenskritische Entscheidungen basieren nicht selten auf den praktischen Helfern.
Inhaltsverzeichnis
Anteil an Individueller Datenverarbeitung wächst
Bis 2024 werden laut Gartner 80 Prozent der Technologieprodukte und -dienstleistungen von Personen entwickelt werden, die keine Technologieexperten sind. Bereits heute setzen viele Versicherer mehrere Tausend Excel-Anwendungen mit zum Teil Millionen von Formeln ein – von einfachen Summenformeln bis hin zu komplexen Formelkonstruktionen. Dazu passend prophezeit Lothar Engelke, CIO von Swiss Life Deutschland, dass die IT der Zukunft noch stärker mit dem Business verbunden sein wird als heute. Swiss Life setzt z.B. bewusst auf IDV, die nicht von der IT verantwortet wird. In der Konsequenz kommen hier bereits 40 Prozent der IT-Aufwendungen direkt aus den Fachbereichen.
Die VAIT zwingen zum Management der IDV
Als flexible und leistungsstarke Tools sind IDV-Anwendungen fester Bestandteil in fast allen Versicherungsprozessen. Der Knackpunkt: Ohne eine systematische Qualitätssicherung und eine technische Kontrolle erhöht sich durch den Einsatz von Excel, Access & Co. das Risiko unautorisierter Zugriffe sowie individueller Verarbeitungsfehler. So erscheint es konsequent, dass die BaFin IDV-Anwendungen immer stärker in den Fokus nimmt. Der Grundstein hierfür wurde mit der VAIT-Novelle vom 3. März 2022 gelegt. Diese entfaltet ihre Wirkung für alle Versicherungsunternehmen und Pensionsfonds, die der Aufsicht der BaFin unterstehen und zielt darauf ab, eine verbindliche Basis für das Management der IT zu schaffen.
Insbesondere das Kapitel 7 „IT-Projekte und Anwendungsentwicklung“ der VAIT adressiert dabei IDV-Anwendungen. Unter anderem lassen sich hieraus folgende Anforderungen ableiten:
- Vorgaben zur Identifizierung der vom Fachbereich entwickelten IDV
- Risikoklassifizierung unter Berücksichtigung der Maßgaben des jeweiligen Schutzbedarfs/Einwertung
- Dokumentations- und Kontrollanforderungen für Transparenz insbesondere bei wesentlichen Änderungen
- Einrichtung eines zentrales Register der kritischen bzw. wesentlichen Anwendungen
- Einhaltung von IDV-Programmierrichtlinien
- Testen der entwickelten IDV und Dokumentation der Prozesse
- Schutz vor versehentlicher Änderung oder absichtlicher Manipulation (Nachvollziehbarkeit)
- Freigabe- und Versionierungsprozesse mit Berechtigungsmanagement
- Einrichtung von angemessenen Kontrollverfahren mit hoher Kontrollintensität
- Einbeziehung von Schüsselfunktionen (Risikocontrolling, Compliance)
Gewichtige und schwerwiegende Feststellungen bei der IDV
Mitte letzten Jahres erfüllten laut BaFin 90 Prozent der Versicherer die Anforderungen der VAIT nur teilweise oder gar nicht:
Konkret auf IDV-Anwendungen bezogen stellte die BaFin u.a. folgende Mängel fest:
Schweregrad der Feststellung | Wesentliche Mängel |
---|---|
F3 - F4 |
|
- F0: Keine Mängel
- F1: Geringfügig; Mängelbeseitigung in überschaubarem Zeitrahmen
- F2: Mittelschwer; Mängelbeseitigung zeitnah
- F3: Schwerwiegend; Mängelbeseitigung unverzüglich
- F4: Schwerwiegend; Mängelbeseitigung unverzüglich
Vgl.: BaFin „IT-Aufsicht bei Versicherungen und Pensionsfonds“, Stand 21.06.2022
Mit den Schweregraden F3/F4 sind dies allesamt Mängel, die als gewichtig bzw. schwerwiegend eingestuft werden und umgehend bzw. unverzüglich zu beseitigen sind.
Das Risiko BaFin-konform managen
Die BaFin fordert, dass Versicherer das mit IDV-Anwendungen verbundene operationelle Risiko auf ein beherrschbares Risiko minimieren. Um diese regulatorische VAIT-Vorgabe zu erfüllen, ist es notwendig, einen Steuerungs- und Kontrollprozess zu etablieren, der eine lückenlose Identifikation, fachliche Bewertung, technische Analyse sowie Dokumentation und Überwachung der IDV – sowohl bei Neuerstellungen als auch Änderungen – ermöglicht.
1. Identifikation & Einwertung: Ab wann gilt eine IDV als eine IDV?
Nicht jede Excel-Datei ist auch gleich eine Individuelle Datenverarbeitung im Kontext der VAIT-Novelle. IDV-Anwendungen erlangen in erster Linie dann eine aufsichtsrechtliche Relevanz, wenn – durch Überprüfung und unter Hinzuziehung bestimmter Kriterien – z.B. die Einwertung einer Datei oder eines Prozesses nach Schutzbedarf in bestimmte Sicherheitsstufen und Kritikalitäten erfolgt oder einer oder mehrere der nachfolgenden Aspekte zutreffen:
- Das Programm wird nicht zentral bereitgestellt (z.B. als Teil einer Kernbankenlösung) oder betrieben.
- Die Anwendung ist keine einmalige Auswertung und kommt mehrfach zum Einsatz.
- Die Anwendung ist keine Hilfsdatei ohne Formeln, sondern das Ergebnis einer formelhaften Programmierung.
- Der Schutzbedarf (Vertraulichkeit, Verfügbarkeit, Datenintegrität) wird nicht als gering bis mittel eingestuft, sondern als hoch oder sehr hoch.
- Die Anwendung hat eine sicherheitstechnische Relevanz.
- Bei der Anwendung handelt es sich um eine technisch komplexe Datei.
- Der Datei oder dem Prozess ist eine Kritikalität zuzuschreiben.
- Es ist eine wesentliche Anwendung, deren Ergebnisse in die Buchführung einfließen – sprich, die GoB-relevant sind.
2. Dokumentation
Die Dokumentationspflichten einer IDV sind in Umfang und Tiefe abhängig
- vom Schutzbedarf,
- von der Komplexität der Programmierung,
- von der fachlichen Rolle und
- vom zugeordneten Prozess.
3. Überwachung & Kontrolle
Mit Blick auf die VAIT sollte eine neu erstellte IDV automatisch registriert und Änderungen an bestehenden Anwendungen per Änderungsverfolgung dokumentiert werden – inkl. Hinweis an den/die Autor/in bzw. den/die Bearbeiter/in, der entscheiden muss, ob es sich um eine wesentliche oder unwesentliche Datei handelt. Von dieser Klassifizierung hängen die nächsten Schritte ab – sprich Test, Freigabe und Versionierung sowie die Aufnahme in das zentrale IDV-Register.
Je nach IDV sind unterschiedliche Anforderungen an die Anwendung zu berücksichtigen. Mit einer Softwarelösung, welche die oben genannten Punkte gewährleistet, sind Versicherer optimal aufgestellt, um beim Thema IDV die Balance zwischen operationellen Risiken, Wirtschaftlichkeit und Erfüllung der VAIT-Vorgaben zu halten. Gleichzeitig werden durch Prozesskonformität Aufwände stark reduziert und individuelle Fehler weitestgehend vermieden. Der Anwendende wird gut unterstützt, von manuellen Nachhaltungspflichten entlastet und kann sich auf sein Tagesgeschäft konzentrieren.
VAIT-konformer Umgang mit IDV-Anwendungen
Jürgen Gerhard Ripp, Leiter der PASS Business Unit Insurance
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